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Sonderauswertung des bidt-Digitalbarometers zu Informations- und Datenkompetenzen

Empirische DatenSonderauswertungQuantitative DatenRepräsentativ

Autor: Dr. Roland A. Stürz | Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) | Abteilungsleiter Think Tank
Beitrag erschienen am: 19.06.2024

Die digitale Transformation zeigt sich in allen Lebensbereichen. Sie verändert, wie Menschen kommunizieren, wie sie arbeiten, einkaufen oder mit Behörden interagieren. Damit einher gehen große Herausforderungen für Wirtschaft, Gesellschaft, Staat sowie für jede Einzelne und jeden Einzelnen, um sich an die sich wandelnden Gegebenheiten anzupassen. Das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) trägt mit verschiedensten Forschungsprojekten dazu bei, die Entwicklungen und Herausforderungen der digitalen Transformation besser zu verstehen. Damit liefert es Grundlagen, um die digitale Zukunft verantwortungsvoll und gemeinwohlorientiert zu gestalten

Mit dem bidt-Digitalbarometer hat das bidt eine groß angelegte, bevölkerungsrepräsentative Befragung in Deutschland und sechs europäischen Vergleichsländern auf den Weg gebracht, um verschiedene Entwicklungen der digitalen Transformation zu erfassen. Neben Einblicken in das Nutzungsverhalten und E-Government, in die digitale Transformation der Arbeitswelt und in Einstellungen zu künstlicher Intelligenz liefert das bidt-Digitalbarometer vor allem detaillierte Erkenntnisse zu den digitalen Kompetenzen der Bevölkerung. Die EU verfolgt im Rahmen des Politikprogramms für die Digitale Dekade das ambitionierte Ziel, dass bis 2030 80 % der Bevölkerung mindestens grundlegende digitale Kompetenzen aufweisen. Wie jedoch die vorliegende Sonderauswertung des bidt-Digitalbarometers zeigt, ist es in Deutschland im Bereich der Informations- und Datenkompetenzen gerade für digital abgehängte Bevölkerungsgruppen noch ein weiter Weg dorthin.

Methodisches Vorgehen

Detaillierte Erfassung der Informations- und Datenkompetenzen mithilfe des DigCompSAT in sieben europäischen Ländern

Im Rahmen des bidt-Digitalbarometers werden digitale Kompetenzen auf Basis des europäischen Referenzrahmens für Digitalkompetenzen DigComp mithilfe des Selbsteinschätzungstests DigCompSAT (Clifford et al. 2020) erfasst. Dieser Selbsteinschätzungstest wurde im Rahmen mehrerer Pilotstudien ebenso wie der DigComp-Referenzrahmen von der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der EU-Kommission entwickelt. Er erlaubt eine Erfassung der Kompetenzen in den fünf DigComp-Kompetenzbereichen "Umgang mit Informationen und Daten", "Kommunikation und Zusammenarbeit", "Erzeugen von digitalen Inhalten", "Sicherheit" und "Probleme lösen". Mit seinen 82 vierstufig zu beantwortenden Einzelaussagen deckt er sowohl Wissen, Fähigkeiten als auch Einstellungen ab. Der Test liefert damit ein holistisches Bild zu allgemeinen digitalen Kompetenzen, erfasst aber keine Spezialkompetenzen, wie sie beispielsweise in IKT-Berufen notwendig sind.

Das bidt-Digitalbarometer ist die erste Studie, die repräsentative Daten zu diesem Selbsteinschätzungstest in Deutschland und in sechs europäischen Vergleichsländern erhoben hat. Dazu wurden in Deutschland (DEU) im August und September 2021 insgesamt 9.044 Personen ab 14 Jahren – teils online, teils telefonisch – befragt. Zwischen November 2022 und Januar 2023 wurden zudem Befragungsdaten in sechs europäischen Vergleichsländern erhoben. Dazu wurden jeweils zwischen 1.157 und 1.734 Personen ab 14 Jahren in Österreich (AUT), Spanien (ESP), Finnland (FIN), Frankreich (FRA), Großbritannien (GBR) und Italien (ITA) – ebenso teils online, teils telefonisch – befragt. Die telefonischen Befragungen konzentrierten sich dabei jeweils auf Wenig- und Nicht-Nutzende des Internets, um mit dem mittels Gewichtung adjustierten Gesamtdatensatz ein möglichst repräsentatives Bild der Gesamtbevölkerung in den untersuchten Ländern zeichnen zu können.

Informations- und Datenkompetenzen werden vom ersten Bereich des DigComp "Umgang mit Informationen und Daten" erfasst. Dieser Bereich besteht aus folgenden Einzelkompetenzen:

  1. Daten, Informationen und digitale Inhalte recherchieren, suchen und filtern
  2. Daten, Informationen und digitale Inhalte bewerten und interpretieren
  3. Daten, Informationen und digitale Inhalte organisieren und verwalten

Im DigCompSAT sind diesem Bereich insgesamt 12 Einzelaussagen zugeordnet. Aus den dazugehörigen Antworten wurde sowohl jeweils für die drei Einzelkompetenzen als auch für den gesamten Bereich ein Index von 0 bis 100 Punkten errechnet.

Zentrale Ergebnisse

Große Kluft bei Informations- und Datenkompetenzen in der deutschen Bevölkerung

Im Umgang mit Informationen und Daten erreicht die deutsche Bevölkerung insgesamt 63 von 100 möglichen Punkten. Deutschland unterscheidet sich damit kaum von den Vergleichsländern Spanien, Frankreich, Großbritannien und Italien. Die Menschen in Österreich weisen mit 67 Punkten einen höheren Kompetenzwert auf. In Finnland beträgt der entsprechende Wert sogar 72 Punkte ().

Deutliche Unterschiede bei den Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Daten zeigen sich beim Vergleich soziodemografischer Gruppen. Während in Deutschland junge Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren mit 79 Punkten im internationalen Vergleich einen relativ hohen Kompetenzwert aufweisen, besitzen ältere Menschen ab 65 Jahren in Deutschland mit nur 42 Punkten die geringsten Kompetenzen in den untersuchten Ländern. Der Unterschied zwischen Jung und Alt bei den Informations- und Datenkompetenzen ist in Deutschland mit 37 Punkten deutlich größer als in den anderen Ländern. In Finnland oder Österreich ist er mit etwa 16 Punkten nicht einmal halb so groß.

Blickt man auf ausgewählte Einzelaussagen, geben beispielsweise 96 % der jungen Menschen von 14 bis 29 Jahren in Deutschland an, Webseiten wiederfinden zu können, die sie zuvor bereits besucht haben, während sich dies bei den über 64-Jährigen nur 55 % zutrauen. Bei den über 64-Jährigen in Spanien sind es 66 %, in Frankreich 73 %, in Österreich 75 % und in Finnland 82 %, die dies von sich behaupten. In Deutschland geben zudem 91 % der jungen Menschen von 14 bis 29 Jahren an, dass es eher oder voll und ganz zutreffen würde, dass sie im Internet gefundene Informationen kritisch auf ihre Zuverlässigkeit prüfen. Auch in Frankreich beträgt dieser Anteil bei jungen Menschen 91 %, ähnlich wie in Spanien, Italien oder Finnland. In Österreich liegt dieser Anteil bei nur 83 %. Der gleichen Aussage stimmen 68 % der über 64-Jährigen in Deutschland eher oder voll und ganz zu.

Teils deutliche Unterschiede bei den Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Daten zeigen sich auch nach der formalen Bildung. Vor allem in Spanien ist der Unterschied zwischen Menschen mit niedriger und hoher formaler Bildung mit 22 Punkten stark ausgeprägt. In Deutschland beträgt der Unterschied 16 Punkte:
So weisen Personen in Deutschland, die beispielsweise keinen oder nur einen Haupt- oder Realschulabschluss besitzen, einen Indexwert von 56 Punkten auf, während der Wert bei Personen mit mindestens einem Bachelorabschluss bei 72 Punkten liegt. Besonders auffällig ist das Ergebnis aus Finnland, da sich hier nahezu kein Zusammenhang zwischen den Kompetenzen und dem formalen Bildungsniveau feststellen lässt. So geben dort z. B. sowohl unter den Menschen mit niedriger formaler Bildung als auch hoher formaler Bildung jeweils 84 % an, dass sie Dateien zwischen Ordnern, auf Geräte oder in die Cloud kopieren oder verschieben können. In Deutschland sind dies nur 59 % der formal niedrig Gebildeten und 81 % der formal höher Gebildeten.

Große Defizite bei älteren Menschen in Deutschland vor allem beim Organisieren und Verwalten von digitalen Inhalten

Betrachtet man die Einzelkompetenzen des DigComp-Kompetenzbereichs "Umgang mit Informationen und Daten" getrennt, zeigt sich, dass Menschen in Deutschland bei der Kompetenz "Daten, Informationen und digitale Inhalte bewerten und interpretieren" mit 66 Punkten den höchsten Indexwert aufweisen. Bei der Kompetenz "Daten, Informationen und digitale Inhalte organisieren und verwalten" ist er mit 59 Punkten am geringsten. Der Indexwert der Kompetenz "Daten, Informationen und digitale Inhalte recherchieren, suchen und filtern" liegt mit 64 Punkten dazwischen (). Die gleiche Rangfolge zeigt sich beispielsweise auch in Finnland, jedoch mit durchweg höheren Kompetenzwerten.

Für die Kompetenz "Daten, Informationen und digitale Inhalte organisieren und verwalten" ist in Deutschland zudem die Kompetenzkluft nach Alter mit 41 Punkten am größten. Während junge Menschen von 14 bis 29 Jahren hier einen Indexwert von 77 Punkten aufweisen, liegt er bei den über 64-Jährigen bei nur 36 Punkten. In Finnland ist der Unterschied zwischen diesen Altersgruppen mit 20 Punkten deutlich geringer.

Anteil an Menschen mit niedrigen Informations- und Datenkompetenzen in Deutschland viermal größer als in Finnland

Betrachtet man abschließend nun den Anteil der Bevölkerung in verschiedenen Kompetenzgruppen, zeigt sich für Deutschland, dass rund 12 % der Menschen nur bis zu 29 Indexpunkte und damit niedrige Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Daten aufweisen (). Entsprechend der zuvor aufgezeigten Ergebnisse sind diese Personen mit im Durchschnitt 73 Jahren relativ alt, häufiger weiblich (60 %) als männlich (40 %) und haben ganz überwiegend nur eine niedrige formale Bildung (78 %). Vergleicht man diesbezüglich Deutschland mit Finnland, ist der Anteil an Menschen mit niedrigen Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Daten dort mit nur 3 % verschwindend gering. Auch in Finnland sind diese Menschen tendenziell älter (Durchschnittsalter 66 Jahre), häufiger weiblich (60 %) als männlich (40 %) weisen aber nur zu 27 % eine niedrige formale Bildung auf.

Rund 9 % der Menschen in Deutschland weisen ein grundlegendes Kompetenzniveau im Umgang mit Informationen und Daten auf. In Finnland beträgt der Anteil der Menschen mit einem grundlegenden Kompetenzniveau 6 %. Rund 52 % der Menschen in Deutschland erreichen ein mittleres Kompetenzniveau. Der entsprechende Anteil in Finnland ist ähnlich groß.

Ein fortgeschrittenes Kompetenzniveau mit einem Indexwert über 80 Punkten weisen in Deutschland 28 % der Menschen auf, in Finnland 37 %. In Deutschland beträgt das Durchschnittsalter dieser Menschen 38 Jahre, sie sind häufiger männlich (60 %) als weiblich (40 %) mit einem gemischten Bildungsprofil. Die Unterschiede zu den Personen in Finnland mit fortgeschrittenen Kompetenzen in diesem Bereich sind deutlich geringer als bei Menschen mit niedrigem Kompetenzniveau.

Ausblick

Es bedarf verstärkter Maßnahmen zur Unterstützung eines lebenslangen Lernens, um die Kompetenzkluft gerade in Bezug auf das Alter der Menschen zu verringern

Aufgrund der relativ großen Kompetenzkluft im europäischen Vergleich besteht hierzulande die besondere Gefahr, dass immer größere Teile der Bevölkerung bei den Informations- und Datenkompetenzen im Speziellen, aber auch allgemein bei den digitalen Kompetenzen abgehängt werden. Erschwerend kommen die geringen Weiterbildungsaktivitäten in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hinzu. Mit dem digitalen Wandel der Arbeitswelt laufen damit auch immer mehr Menschen Gefahr, ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verlieren, weil sie den digitalen Anforderungen der Arbeitswelt nicht mehr gewachsen sind.

Aber auch älteren Menschen jenseits des Erwerbslebens droht, ohne ausreichende digitale Kompetenzen kaum mehr am gesellschaftlichen Leben partizipieren zu können. Ein Hauptaugenmerk, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, muss daher auf das lebenslange Lernen gelegt werden – beginnend mit der Vorschulbildung und endend mit geeigneten Angeboten für Seniorinnen und Senioren.

Schließlich gilt es auch auf Vorreiterstaaten wie Finnland zu blicken und aus Best-Practice-Beispielen zu lernen. Zu nennen sind dabei insbesondere Investitionen in die frühe schulische Ausbildung mit der Vermittlung von IKT-Kompetenzen als fächerübergreifende Fähigkeiten oder die Kompetenzförderung im Erwachsenenalter durch ansprechende, kostenlose und gesamtgesellschaftlich unterstützte Onlinekurse. Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung digitaler Kompetenzen der Menschen für den Wirtschaftsstandort, für unsere Demokratie und für eine Teilhabe am digitalen Leben gilt es daher, Maßnahmen zu ergreifen, um die bestehende Kluft zu verringern.

Zweistufige Befragung


Vorgehen: Stufenweise Annäherung (idealtypisch)


Vorgehen: Stufenweise Annäherung (idealtypisch)